(Anlässlich der Ausstellung in der European Art Gallery, Badenweiler

zur Frage von Angela Lenz, „was im Menschen bringt die Kunst hervor?“)




Was im Menschen bringt Kunst hervor?


Diese Frage hat zwei Zielrichtung. Sie fragt einerseits nach dem „Ort des Poetischen“ allgemein, andererseits fragt sie nach dem Menschen, indem sie nach dem „Ort in ihm“ fragt, an dem Kunst entstehe.

Genau genommen ist es aber die Frage nach der Möglichkeit des Kontrafaktischen und darin die Frage nach der Natur des Menschen als einer möglichen und erst durch den Menschen zu Bestimmenden.

Konkreter fragt man damit nach der Freiheit des Menschen und inwieweit sie in seiner Natur verwurzelt ist.


Versteht man die Frage nach der Natur des Menschen fehl als Frage nach den neurologisch physiologischen Gegebenheiten, so strandet man an irgendeinem Ort, an dem man die notwendigen physischen Bedingungen für Sehen und Fühlen, für Hoffen und Lieben findet. Die Wirklichkeit unserer Fähigkeit zum Denken, zur Freiheit, zum Schöpferischen bleibt damit in jeder Hinsicht unverstanden. Empirisch gibt es keinen Ort, an dem Kunst entsteht. Empirisch gibt es keine Kunst!

Empirisch ergibt Kunst keinen Sinn.

Kunst ergibt nur Sinn, wenn man von der Welt, dem Dasein ein Geheimnis und ein Mehr erwartet.


Der Mensch ist das Verwaiste, die tabula rasa, das Unnahbare und Ort eines Geheimen Ereignen und dort: in dieser Schichtung entsteht das Schöpferische. Das Schöpferische ist Ausdruck einer Erwartung eines Mehr, das Schöpferische ist Zeichen des Überflusses.

Dabei ist der Mensch nicht dasjenige, was er macht, sondern dasjenige, das er ergreift- bzw. von dem er sich ergreifen lässt. Niemand macht Bilder, die Bilder ergreifen uns und sie wirken in dem Maße, in dem wir sie wieder lassen können, hervorbringend. Sie machen uns blind, wo wir uns an ihnen festhalten. Sie machen uns sehend, wo wir sie schwebend bewahren. Das schwebende Bild wird zur unerschöpflichen Quelle. Jede wirkliche Kunst erzählt von dieser Quelle. Noch mehr: wirkliche Kunst wird zur Quelle.


Kunst entsteht in der Existenz des Menschen, dies ist ihre Tür, aber nicht ihr Ursprung.

Kunst stellt die Frage nach dem Bewusstsein. In naher Zeit werden Maschinen entstehen, die hochkomplexe „Kunstwerke“ eigenständig herstellen. Doch dies wird keine Kunst sein. Denn Kunst ist nur, was aus dem Menschen entsteht und in ihn eingeht, Kunst ist nur als Ort des Menschen. Kunst ist der Ort, an dem sich das Bewusstsein des Menschen öffnet für das Bewusstsein schlechthin. Und paradox ist der höchste Zustand dieses Bewusstseins der der Selbstvergessenheit.


Kunst ist der Ort des Selbstvergessens. Und damit auch ein Ort der Demut. Wer mit Behauptungen hier eintritt, - im Gestus der Selbstbehauptung- , findet nur einen leeren verschwiegenen Ort ohne Widerhall.

Wer das Behauptete fahren lässt und riskiert, alles fahren zu lassen, erfährt, dass alles ist- jenseits des Stolzes und Machens. Das Poetische ist ein Ort des Nicht-Machens. Die Poesie wohnt nicht bei den Stolzen und Machern.


So sehr Kunst ein Schöpfen aus Quellen ist, so sehr sind dies Quellen, die sie selbst nicht geschaffen hat. Kunst lehrt die Ehrfurcht der Betrachtung.

Die Betrachtung des Ortes ist ohne Behausung. Ewiger Auszug ohne Wiederkehr.


Was im Menschen bringt Kunst hervor? Es ist der Mut, zu lassen. Die Poesie ist der Ort des Sterbenkönnens.

Was im Menschen bringt Kunst hervor? Es ist der Mut, sterben zu können.

Der Tod wird mittelbar zum Ursprung des Lebens. Genauer:

die Aufgabe der Angst wird Quelle der Schöpfung.


Patrick Feldmann, Oktober 2011