Der Buddha der Scheißhäuser, kurze Anthologie einer Radtour,


Der Beginn einer Reise ist ein Menetekel. Dinge, die bis jetzt einwandfrei funktionierten, verweigern plötzlich ihren Dienst und spinnen den Widerspruch.

Die Fahrradkette, bis gestern noch intakt, fällt nach kaum zehn Metern vom Zahnrad als wäre ihr Reißen eine Entwicklung des Scheiterns, eine Prophetie der Abwicklung.

Der Reifen offenbart plötzlich - nun was?- Luftleere. Alles spricht ein „Bleib hier- bleib zurück“!

Wer dieser metaphysischen Aufladung der Dinge folgt, dem versagt sich nicht nur dieser, sondern jeder weitere Weg,- den verliert der Himmel.


Auf einer Reise geraten die Dinge ins Fließen (vielleicht sträuben sie sich deshalb und behaupten, verlogen, ein letztes Verharren. Letztlich aber ist es wohl unsere Trägheit, die hier Boden greifen will).


Wie gern würde ich sagen, dass auf der Reise alles im Fluss bleibt, aber egal ob man mit kleinen Schritten geht oder mit Spüngen eilt- immer wieder zieht es den Geist zur Schwere des Bodens, drängt das Rad in die Furche und hemmt seinen Schwung.

Wer der Ruhe des Verweilens zu oft nachgibt, der scheitert ebenso wie jener, der kein Verweilen kennt.

Das Verweilen aber- ist keine Leistung, sowenig wie eine Geste der Trägheit. Es ist,- eine Gabe des Gleitens,- jener Sicherheit des unsicheren Ganges- eine Sache von Sekundenbruchteilen, die Ewigkeit transpirierend- wird jedes Ausgleiten zu einem nächsten Schritt.


Durchquerst Du eine Stadt, so findest Du zumeist die Tragik des Testamentes an den Rändern.

Die klinische Reinheit des historischen Kerns verweigert die Erkenntnis des Niederganges.

Die Ansiedlungen der Ränder aber- schreien sie hinaus- so wohlfeil, dass es ertauben machen will.

So kann es sein, dass Du eine schöne Stadt durchquerst und taub bleibst für ihre Schönheit.


Regensburg, Du Hochgetürmte, Renaissance des verbürgerlichten Raubrittertums- in allem Glanze eine klappernde Schönheit. Kopfsteinpflaster unter den quietschenden Turnschuhen der Touristen. Du ungestalt Wohlgeformte.


Die Donau- ist zuvorderst ein Fluss, der sich durch eine Persistenz des Trägen hervortut. Im Sommer wenn ihre Ufer ohne Schatten sind, leuchtet der weiße Kies und zerstrahlt die Gedanken . Der Weg des Radfahrers ist heiß und schneidend hell. Jeder muss selbst wissen, warum er die Passage sucht. Er wird sich die Frage wieder und wieder beantworten müssen.


Die Dörfer- sind bei aller Verschlafenheit Zirkulationen von Karrossen und ruhendem Blech. Im besten Fall atmen sie eine Bewusstheit des Alten. Weder aber der Wind noch sie selbst geben eine Antwort auf das Warum.


Der Staub
Der Staub der Reise ist Zeuge. Sein Zeugnis ist eine Frage des Ephemeren.

Der Staub stellt die Frage, was Basis und was Auflagerung ist. Alle Werke sind Staub- unser Dasein allein als Zuneigung scheint mehr zu sein. Allerdings ist hier entscheidend, wozu man geneigt ist. Narzissmus, also Selbstverliebtheit, ist ein Beharren im Staub, Liebe zur Welt, zu Gott, zum Anderen transzendiert und ist wie alles Sehnen eine Weitung, ein Überschreiten des Staubes. Als träte etwas aus der Materie heraus, das sie nie beherbergen könnte.

Das Wesen der Liebe ist sehnende Hingabe. Es ist nicht Erfüllung.

Der Staub der Reise ist Zeuge.


Parallel zum Verfall aller Glaubenskraft und -substanz findet sich eine grassierende Buddha-Wut. Sie tobt in Vorgärten, Gaststätten, Life-Style-Oasen und in jeder Form des Wellness-Frimels.

Buddha, das ist die Verheißung aseptischer Erlösung. Der Weg gerinnt zur Floskel der Ereignislosigkeit und der feiste Bauch des Hockenden kennzeichnet jene kardiozirkulatorische Unbedenklichkeit des Fettes, die die Gesundheitsgesellschaft dem Blick allein aus der Entfernung verklärend genehmigt.

An einem Ort allerdings habe ich Buddha noch nicht gesehen: auf Scheißhäusern, jenen Orten der Entleerung. Dort allerdings wäre er semiologisch perfekt aufgehoben und stationiert. Wahrheit ist peinlich – und ungewiss! Dem Reflex kleingeistiger Bereicherung an fernöstlicher weiser Lebensweisung allerdings erscheint dies in der Tat unpassend. Dem Anankasten hingegen ist dies vertraut.

Wer aber Sexualität nicht als Teil des Eros, sondern in Fixierung auf den Lustgewinn sieht, der muss an Parthenogenese und zauberhafte Rettung durch Prinzen und Feen glauben. Dem echten Gläubigen ist alles staubiger Weg, ganz ohne Schmuck, ganz ohne Angabe.



Die Sonne- lebensspendende Totengräberin. Was sage ich den Tagen wenn sie im Kleinen versinken und die Dämlichkeit Platz greift? Wo gehe ich hin, wenn mein Leben versandet.


Ungerecht werden- Jeder will gemocht werden, aber was die Meisten dafür tun, bedeutet die Wahrheit im Gegenteil zu suchen.


Die Sonne- tags zehrende Hetäre- scheidet abends als mollig Verträgliche. Wo sie uns täuscht weiß keiner genau. Der Mond täuscht uns nicht, er bleibt kalt. Die Nacht wiederum bleibt diesen Gewissheiten fern und macht uns -alle- lächerlich.


Die Erschöpfung- der Moment, an dem wir glauben, am Ende der Reise angekommen zu sein, wird- unvermutet – zur Erfahrung unserer Ausgeschöpftheit.

Die Welt steht still in skuriler Verrenkung und dennoch wiederholt sich alles. Der Raum endet in einer absurden Überfülle der Zeit. Einer Zeit, die ohne Ausgang ist.

Nicht angekommen, verneinen wir den Weg. Angekommen verherrlichen wir ihn und seine Konsumption allen Lebensgeistes.


Deja vu

Die Reisenden, verbunden nach allen Seiten, verlieren darin jegliche Bindung und ihr Geist strandet. Vielleicht aber ist das Digitale, also der Verlust an Erd-voller-Gegenwart des Anderen, nur ein anderer Ausdruck für Bindungslosigkeit und ist in seiner Körper-Losigkeit schon Geist-los an sich.

Zu Schiffbrüchigen machen sie sich und alle anderen. Die Welt versandet in der Banalität vollständiger Vernetzung und Verfügbarkeit.

Der mediale overkill schafft eine neue Brutalität des Seins, für die jedes Wort zu wahr ist, da analog.


Die Rückkehr- in gewisser Weise ist sie inkompetent und überqualifiziert.

Das Wiederentdeckte, Zurückgelassene versperrt sich jeder Bereisbarkeit und kapert den Reisenden. Seine Freiheit ist in Stunden dahin, denn er gleicht sich an.

Die Rückkehr führt im ersten Augenblick zur tiefen Verfremdung- erinnerte man zuvor sein Haus in der Fläche, umgeben von mildem Grün, - so findet man es im Tal am Hang, eingewachsen in einen triefenden Dschungel. Die Rückkehr straft die Erinnerung Lügen. Sie perforiert sie, deflagriert sie allemal. Dafür allerdings schafft sie in der Erinnerung Platz für Gegenwart und Augenblick.

Dies ist der schöne Aspekt für den Rückkehrer. Der Abfall aller Anspannung, die Erschlaffung jeder Kraft und eine zehrende Müdigkeit ist die weniger schöne Seite der Rückkunft, die- in gewissem Sinn- eine gescheiterte Ankunft bedeutet.

Überhaupt stellt die Reise die Frage der Ankunft neu.

Es bleibt im Zweifel, ob Ankommen überhaupt möglich sei, ob nicht jeder Ort nur ein Vorläufiger- ein Bote des Nächsten oder Verheißung eines wünschbaren Letzten sei.

Zwar macht die Reise nicht heimatlos (denn Heimat ist unsere Wiege an der Kante der Welt, um die sich Welt aber erst konstituiert), aber sei macht ankunftslos. Aus diesem Grund herrscht zwischen den Sesshaften und den Ziehenden tiefes Missverständnis. Was die Einen für sicher halten, ist den anderen gefährdende Illusion.

Dennoch, um die Unklarheit zu vervollständigen, zwar sieht und schreibt der Reisende, doch das Papier und den Stift schafft der Bleibende. Die stabilitas loci ist im Benediktinischen sogar die Vorraussetzung echter Reise, die nicht nur die illusiven Fassaden gegeneinander wechselt und Potemkinsches Dorf nach Potemkinschem Dorf erlebt. Wirkliche Reise will auf den Grund.


Patrick Feldmann 2015