Vermag Kunst zu wirken?
Patrick Feldmann, Oktober 2012/2015
(Kunst ist, wenn man's nicht kann, denn wenn man's kann, ist's keine Kunst. (Nestroy))

Gemeinhin sprechen wir von der „Wirkung“, die etwas in der Welt hat. Dabei gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass Dinge und Gegebenheiten aufeinander wirken. (Wie bei anderem Gegenstand auch, könnte man ja davon ausgehen, dass es uns zwar so erscheint, als gäbe es Wirkung, aber dass alle Wechselwirkung und Veränderung nur Schein und Täuschung wäre)

Die Frage nach der Wirkung ist letztlich die Frage nach realer Veränderung durch reale Anwesenheit. Entgegen allen Täuschungstheorien ist Veränderung vordergründig für uns essentiell und wir nehmen sie als naturgegeben wahr. Aber auch schon früh gab es in allen Kulturen die Bemerkung, dass dies die Täuschung einer Scheinwelt wäre, die eigentliche Realität wäre ohne Veränderung.
Ist alles im Fluss und Veränderung oder ist alles unveränderliches Sein? (Heraklit gg.Parmenides)

Naturwissenschaftlich hat man Veränderung in Gestalt von „Ursache und Wirkung“ in einer Kausalkette als Ordnungsprinzip gefasst und dahingehend präzisiert, dass man erst im mechanistischen Sinn von einer Körper-Impuls Theorie ausging, später sah man in der Kernphysik, dass Ursache u. Wirkung im Kernzerfall nicht kausal bestimmbar sondern mitunter stochastisch waren, und in der Quantenphysik, dass Dinge aufeinander wirken können, die räumlich von einander getrennt sind. Das Kausalprinzip steht in gewissen Grenzbereichen der Physik in Frage keineswegs aber der Wirkungsgedanke.

Im menschlichen Sozialzusammenhang geht man von einer „Wirkung von Ideen“ aus. Ideen zeichnen sich aber im Gegensatz zu Dingen/ Körpern gerade dadurch aus, dass sie keine Konkreta, sondern Abstrakta darstellen, dass sie also unabhängig von Raum und Zeit Identität beanspruchen können.

Genaugenommen ist allerdings auch das ganze Konzept von Ursache und Wirkung ja keine Beobachtung (wie Hume treffend bemerkte), sondern eine Idee, unter der wir die Veränderungen zueinander ordnen.

Wenn wir die Frage nach der Wirksamkeit von Kunst stellen, so wissen wir, dass Kunst sowohl Konkretum als Abstraktum ist- Beides ist für ihr Wirksamwerden notwendig.

Sehen wir Kunst als konkretes raum-zeitliches-Ding, das statisch als Werk „unveränderlich“ verharrt, so fällt trotzdem die Möglichkeit einer mechanistischen Wirksamkeit aus. Denn eine Plastik von Michelangelo wirkt als Kunst nicht dadurch, dass sie umfällt oder man im Dunkeln vor sie läuft und sich daran stößt. (Andererseits lässt sie sich „erfahren“- inwieweit hier von empirischer Erfahrung gesprochen werden kann, müßte man separat verhandeln)

An „Kunst als Idee/ Konzept“, oder heute als „soziale Aktion“ wird ersichtlich, dass diese nicht mechanisch kausal wirkt, sondern indem sie in das soziale Handlungsgefüge eintritt und über das Handeln der Menschen wirkt. Sie prägt das Denken und Empfinden von Menschen, bestimmt ihre Welt- und Wirklichkeitswahrnehmung.

Was also prägt das Wirken von Kunst? Ein Gedanke, der vielleicht weiterhilft, wäre der Aspekt der Zeitlichkeit: das kausale Ursache und Wirkungskonzept lebt von der zeitlichen Abfolge. Ohne Zeit hier keine Wirkung.

Nun gilt gerade dies für Kunst nicht! Man darf sagen, dass Kunst gerade in dem Maße wirkt, in dem sie die Zeitlichkeit aufzuheben vermag. Die Betrachtung von Kunst ist eine Methode zur Aufhebung der Zeit und ihres Diktates, eine Relativierung von Zeit. Das Objekt, das einen Status der Dauerhaftigkeit beansprucht, führt den Betrachter aus der „Zeit als Folge des Einen aus dem Anderen“ in den Zustand kontemplativer Gleichzeitigkeit. Von Angesicht zu Angesicht, so ist die Erfahrung der Gegenwart, der Anwesenheit, eine Erfahrung der Ewigkeit als eines Heraustretens aus der Zeit.

Kunst überführt also das Konkrete, Empirische durch die Herausnahme aus der Zeit in den Status einer Idee im weitesten Sinn. Dies gibt dem Konkretum den Charakter eines Abstraktum (Paradox lässt sich also die Frage des Authentischen, die Frage nach dem Original, gerade dort, wo wirkliche Kunst vorliegt, nicht mehr sinnvoll stellen!).

Genau das gerade Gesagte greift ein Moment früherer Diskussionen über Kunst auf: indem Kunst vom Faktischen ausgehend ins Normative leitet, folgt sie dem Weg der Ästhetik und der Aporie des Schönen- ohne an dieser Schönheit haften zu bleiben.


Kunst als Methode der Imagination des Überkonkreten.

Zurückzukommen auf den Anfang dieser Gedanken: Wenn wir hier für eine Wirksamkeit von Kunst gültige Beschreibung finden wollen, so stellt sich trotzdem die Frage, welche Aussage Kunst zur Veränderung macht. Und hier verliert „Kunst“ den Charakter suggerierter Einheitlichkeit.   Es gibt Kunst, die von der Gültigkeit von Veränderung ausgeht – und diese muss auf Wirksamkeit beharren. Es gibt aber auch Kunst, die meint, dass das Wesentliche immer gleich bleibt- hier ist Veränderung nicht zwingend notwendig. Es stellt sich dann die Frage, wozu Handeln, wozu dann u.a. Kunst ? Eine mögliche Antwort wäre, dass Kunst gemäß ihrem Charakter zwischen dem Konkreten Ding und der Abstrakten Idee oszilliert. Kunst bedarf aber dieser Wurzel des Konkreten und damit des Handelns - auch eine Kunst, die ihren Blick auf das Unveränderliche richtet!

Ein anderer Gedanke wäre, dass Kunst am Numinosen im Menschen rührt, an seiner Seele. Jener Seele, die die Philosophen der Neuzeit leugnen. Jener Seele, die die Psychologen leugnen- aus Angst sich lächerlich zu machen und den Nimbus von Wissenschaftlichkeit zu verlieren. Jener Seele, die allein noch die Ärzte, Künstler und Theologen verkünden.

Nun meine ich nicht,  mir zu Gute halten zu können, dass damit die Fragen beantwortet seien. Ich bin kein Narr-.   Beantwortet ist nur die eigentlich evidente Tatsache, DASS Kunst wirksam werden kann,- dies aber kaum von mir, sondern aus der Tatsache vieler Schilderungen und Entwicklungen der Menschheits-und Kulturgeschichte. Die Frage aber, wie Kunst wirke, ist fest mit dem Faszinosum eben der Kunst wie des Menschen verbunden und gerade darin anregend.


* Gibt es künstliche Kunst?
Immer wenn es um "digitale Zukunft" , "artificial intelligence", um "Informationsgesellschaft" oder ähnliche als Utopien gewünschte, aber im eigentlichen Sinn Dystopien geht, zeigt sich, dass die Leute meinen, dass komplexe algorhythmische Durchmischung von Daten qualitativ Neues entstehen lassen könne und man die menschliche Kulturgeschichte quasi automatisieren könne.
Algorythmen aber handeln vom Faktischen und das Faktische zeugt eben keine Qualität.   Qualität, zumal künstlerische, entsteht aus dem Normativen und Poetischen.
Sogenannte "Computerkunst" lebt seit jeh vom ästhetischen Eingriff des urteilenden Menschen und falls wirklich „Kunst“ dabei herauskommt, dann nur wegen dieses normativen /ästhetischen Eingriffes.
Eine Kulturgeschichte als Selbstläufer und unabhängig vom urteilenden Eingriff des menschlichen Geistes (was immer das sei) ist so unmöglich wie sie sinnlos wäre, wäre sie möglich.