Recht und Wiederkehr 2015,
die Wiederholung einer Besprechung des
Michael Kohlhaas von Kleist
(Aufführung und Inszenierung (Mathias
Rath) im Theater Bonn Mai 2012)
und die Lage im Herbst 2015 in Deutschland und Europa
Die Schlüssigkeit der Bilder, die wie
das Kernstück des Bühnenbildes einer dauernden Metamorphose
unterworfen sind, spricht für sich. Ebenso wie die Rhythmisierung
der Sprache und Klangkonstruktionen/ Gesänge. Hier taucht eine ganz
herausragende Qualtität auf.
Wie das stete Schreiten auf der Suche
nach Gerechtigkeit musikalisch ein Requiem dieser Gerechtigkeit zu
werden zum Lauf wird, um schließlich in der Feuerwalze eines Dies
Irae, die Gerechtigkeit zur Ankunft zwingen zu wollen, so zermahlt es
die Zuschauer, zermahlt die Handelnden und lässt in Assonanz an die
Kleistsche Schrift über das Marionetten-Theater erst die an Fäden
Hängenden frei zum Gehen werden. Mancher der Zuschauer hat diesen
tiefen Blick in den Spiegel nicht ertragen und verließ während der
Vorstellung das Theater. Dass er dabei sowohl Klimax wie angedeutete
Katharsis verpasste, wird denen, die gegangen sind, wohl eh nicht
einleuchten. Und hier definiert sich Kleinbürgerlichkeit,
Borniertheit und Provinzialität neu als die Unfähigkeit, den Blick
in den Spiegel ertragen zu wollen.
Das Recht wurde usurpiert und willkürlich geschändet, aber erst als die dadurch evozierte Gewalt als Griff nach der Macht hervorbricht, erst da lenken die Machthabenden ein und offenbaren in ihrem moralischen Appell wiederum ihre Willkür und Mutwilligkeit, die im eigentlichen ihre Mutlosigkeit ausmacht.
Erst als Kohlhaas die Städte in Brand setzt benennen die vermeitlichen Hüter des Rechts die Wichtigkeit dieses Rechtes, das sie vorher nur allzugern einseitig lesen und buchstabieren wollen. Erst als ihre Welt brennt, vokalisieren sie R E C H T und meinen es selbst dann immer noch partikular.
Kohlhaas ist eines jener Stücke, die
grundlegend sind für die Reflexion jeder Gesellschaft über ihre
eigenen Grundlagen. Wer meint, mit einem klaren Begriff von Recht
entlassen zu werden, mit einer klaren Benennbarkeit der Störung des
Rechts, muss weiter im Rade laufen. Deutlich wird nur Eines: Der, der
die Störung des Rechts glasklar diagnostiziert, wird vorübergehend
selbst zum Symptom dieser Krankheit. Eine inerge Positionierung
scheint unmöglich.
Michael Kohlhaas, anfangs ein
Gerechter, dann ein Dulder bis zur Neige, dann ein Fordernder mutiert
zum Rebell um des Prinzips Willen. Um des Prinzips Willen fordert er
die Wiederherstellung des geschändeten Rechtes. Was er fordert mutet
klein an und scheint den Vorwürfen der Stänkerei gegen ihn Recht zu
geben. Doch auf nichts als auf das Prinzip, das er einfordert,
gründet sich die Gleichheit und Waage des Rechtes. Ohne Recht sind
die Städte brennende Walzen, rotten sich die Getäuschten zusammen
und verheeren das Land.
Dass der Rebell zum Maßlosen wird, wer
kann es ihm verdenken. Denn schließlich kehrt er von selbst wieder
zum Maß zurück und erscheint den Mächtigen damit noch verrückter.
Gegen Ende des Stückes bleibt die Frage, wieweit die Usurpatoren des Rechtes, die staatlichen Rechtsbeuger und verrotteten Adlaten des Unrechts verstanden haben, was da passiert ist.
Kohlhaas findet ins Recht zurück, aber sie? Es erscheint, als hätte die Welt nichts gelernt, als wäre mit dem Urteil gegen Kohlhaas der Fluss der Kumpanen und Beziehungskenner wieder in seinem alten Bett.
Doch untergründig vibriert die Frage, wann und unter welchen Bedingungen die Urgewalt wiederkehrt, die dieses träge breite Strömen so leicht aus ihrem Bett drängte und mit Feuer untermengte.
Und an unsere Zeit, die drängend nach Recht und Gleichheit vor der Gesetz fragt, wendet sich dieselbe Frage in einer klaren Direktheit: Begründen wir dies Recht gültig und wenden es in Gleichheit an?
Wo nicht, droht als Feuerwand der unberechenbare Zorn jener, die ungleich vor dem Recht und damit entrechtet werden.
Das Ergebnis lautet: Frieden ist das Zeugnis von Befriedung und Gerechtigkeit und kein Naturzustand.
Patrick Feldmann, 20.5.2012