Mit jeder Ausstellung von Kunst stellt sich immer wieder die Frage – Ist Kunst Luxus oder Notwendigkeit?


Und dies fächert sich in zwei Unterprobleme auf:

Wozu Kunst? („Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“, Hölderlin, Brot und Wein )

Was ist Kunst überhaupt? Wenn es Kunst gibt, was ist dann Nicht-Kunst (also ihr Gegenteil)?


Obwohl es eine Kunsttheorie gibt, ist Kunst ganz sicher keine Sache der Theorie, sondern eine Sache der Praxis.

Kunst ist ein Handeln des Menschen in der Welt.

Manche sehen Kunst allein als Akt des Handelns( Performance), andere sehen das Ergebnis der Handlung, das Werk.


Ist Kunst dabei Ausdruck oder Erkennen?

Ausdruck meinte v.a. Ausdruck des Gefühls? Das Gefühl machte sie aber ebenso flüchtig wie nur subjektiv. Dann wäre Kunst „das, was gefällt“ , im Resultat ein absoluter Relativismus, über den zu reden sich eigentlich nicht lohnte. Eine Sackgasse....

Es gibt aber einen anderen Ansatz. Danach ist Kunst ein Streben nach Erkenntnis, ein Erkennen. In meinen Ohren klingt das schon besser, aber: was trennte dann Kunst von Wissenschaft?

Könnte man dann sagen: „Kunst ist eine Weise subjektiven Erkennens unter Einschluss des Sinnlichen“ wohingegen „Wissenschaft ein Versuch objektiven Erkennens ist, der dem Sinnlichen als Beliebigem misstraut“?


Muss man diese Opposition Gefühl /Subjektivität vs. Vernunft/ Objektivität so stehen lassen?

Ich denke: nein!

Kunst ist sowohl Ausdruck des Subjektiven als auch Erkenntnisstreben! Sowohl eine Sache der Vernunft als auch des Fühlens (hier würde ich lieber „des Ahnens“ sagen).

Alle Kunst ist primär subjektive Erkenntnis und es stellen sich in ihr und mit ihr grundlegende Fragen : Was ist wirklich? Was können wir erkennen? Und diese Fragen zurück auf uns gewandt: Wer bzw. WAS sind wir?

Kunst stellt also in der Frage nach der Welt vor allem die Frage nach dem Menschen!

Man kann also eine der oben genannten Fragen schon beantworten: Wozu Kunst? Kunst ist wichtig, um ein Bewusstsein unseres Daseins als Menschen zu haben!


Dieses WOZU ist aber kein instrumentelles, sondern ein sinnhaftes Wozu: die Sache erschöpft sich

nicht im Zugang als Mittel, sondern ist selbst schon Zweck/ Ziel.


Aber immer noch nicht ist damit beantwortet, was Kunst ist. Das ist eine Frage nach dem Wesen. Nun hatten wir aber anerkannt, dass Kunst vor allem eine Sache der Praxis ist. Vielleicht lässt sich die Wesensfrage gar nicht beantworten, denn dazu müsste man ein Kriterium finden, das die Kunst von allem anderen trennt, was sie der Nicht-Kunst entgegenstellt.

Vielleicht ist aber das Wesen der Kunst gerade, dass sie diese Trennung des Einen vom Anderen weder sucht noch leisten kann, sondern dass sie da, wo sie gelingt, immer das Ganze meint- die Einheit der Wirklichkeit.


Kant sagte einmal: „Alles hat seinen Zweck oder seine Würde“. Sprich: - normalerweise dient in unserer Welt Eines als Mittel zum Anderen. Und dieses wiederum als Mittel zu einem wieder Anderen und unendlich so weiter. Normalerweise funktioniert unsere Praxis so: wir nutzen etwas, um ein anderes zu erreichen. Alles hat seinen Zweck.

Aber in dieser Verzweckung sagen die Dinge nichts über sich, über uns, über die Welt an sich aus. Sie haben ihre „Würde“ verloren.

Die Würde ist der Zustand der Selbstaussage.


Das Nutzlose und die Qualität

Wenn es aber nun Etwas gäbe, dass zu nichts dient... Etwas Nutzloses! Wie verhielte es sich damit?

Das Nutzlose stößt im ersten Augenblick auf ,- es dient ja zu gar nichts.

Dann aber, wenn man unser menschliches Leben genauer betrachtet, ist so Vieles, was nutzlos ist, das Menschlichste zweckfrei und schert aus der Verwertung aus ( z.B. Liebe zwischen Menschen. Vertrauen. etc. - Wenn hier eine Verzweckung vorhanden ist, so handelt es sich sicher nicht um „Liebe“ oder „Vertrauen“. )



Also doch eine Wesensbestimmung

Nach dem bisher Gesagten gehört Kunst hierhin. Ihr Wesen ist „Nutzlosigkeit“, die würdiges Dasein erzeugt, so wie „Liebe“. Wenn Kunst ein Wesen hat, so ist es dass sie die Dinge abseits ihres Nutzens- in ihrer Würde- dh. in ihrer genuinen und unerschöpflichen Faszination zu uns sprechen lassen kann. Kunst ist eine Sache der Qualität von Leben nicht seiner Quantität- von daher ist es kaum verwunderlich, dass Kunst, ebenso wie Liebe etc., nicht messbar ist.




Zwar ist Kunst ein Akt des Sozialen, aber Kunst ist nicht primär Kommunikation, sondern eher Kommunio (Teilhabe am Gemeinsamen). Es geht in keiner Weise um Vermittlung von Wissen, Botschaften oder Daten.

Damit liegt Kunst in der Nähe zur Religion, die ja auch eine Wesens-/ Sinnaussage über den Menschen / die Welt sucht, die die Endlichkeit der Verzweckung überschreitet.

Daher spielt Wahrheit für die Kunst eine große Rolle.

Denn selbst wenn es dem Künstler (und dem Betrachter!) nicht um die Entdeckung formulierbarer Wahrheit geht, so geht es ihm um Reinheit, Reinigung von Überflüssigem, Eindeutigkeit oder besser Klarheit. Wahrheit spielt in der Kunst vor allem als Wahrheit des Handelns, der Verwirklichung eine Rolle. Deshalb das lange Betrachten vor der sich entwickelnden Arbeit...


Kunst wäre also der Versuch, Wahrheit zu befragen und – wie im Gedanken der Kommunio – zu teilen.

Nun darf man zu Recht fragen: Ist Kunst ein Religionsersatz?

Vielleicht wäre es noch berechtigt, Kunst als Weg , als Fahrzeug zu sehen, doch eines hat sie eindeutig nicht: eine Heilsbotschaft. Kunst ist etwas anderes als Religion und sie ist etwas anderes als Wissenschaft, denn im Gegensatz zu dieser meidet sie nicht das Subjektive, sondern sieht es als eigentlichen Zugang zur Welt!



Vortrag zur Eröffnung bei den Königswinterer Kunsttagen, Mai 2011