FASCHISMUS

 Resignation, Rest und totalitäres Denken-
Ein Kurzessay über Faschismus und den Verlust der menschlichen Identität


     Die Situation des Seins, gerade die des bewußten Seins (und das ist der Mensch, wie sehr er auch anderes wünschen mag), ist die des Geworfen-Seins. Dies bedeutet, wir sind ohne gefragt zu sein und primär ohne Einfluß auf unsere Situation und den allgemeinen Gang der Dinge (es mag hier ohne Betracht bleiben, daß wir schon früh und dann immer weiter anwachsend im Handeln Veränderung schaffen und Verantwortung erlangen: im ersten und wesentlichen ist dies nicht gegeben.). Dieses Geworfen-Sein umschließt die Erfahrung der existentiellen Machtlosigkeit.
     Vordergründig erscheinen diese Gegebenheiten als das traumatische Grundmuster der menschlichen Existenz, als Urgrund unserer Angst. Ohne Macht zu sein heißt: schutzlos sein. Dies ist unsere Grundsituation, diese gilt es anzuerkennen. Alles andere mündet in eine fatale Lüge (d.h. in eine schicksalhafte Irrung, die keinen wirklichen Weg, kein wirkliches Gehen, keine wirkliche Ankunft ermöglicht: das aber ist es wonach sich alle, die sich Menschen nennen sehnen. Diese Sehnsucht macht sie menschlich und sie sind es in dem Maße, in dem sie diese Sehnsucht in sich körperhaft werden lassen). Man sagt, Lügen haben kurze Beine; was sagen will, sie (Lügen) führen nicht weit. Der materialischtische Glaube, dem sich die säkularisierte westliche Welt anvertraut ist ein Beispiel,das wir nicht nur vor unseren Augen haben, sondern im Fett zwischen unserem Gedärm mit uns tragen. Die 'kurzen Beine' haben hier einfach die Gestalt, daß der Mensch (d.h. jeder einzelne von Ihnen im Maß seiner Betroffenheit) bei dem Versuch seine existentielle Schutzlosigkeit mit Besitz zu negieren seine Substanz verliert und verhungert. Wir haben Angst vor/wegen unserer Schutzlosigkeit, da `wir nicht wissen`, an wen wir ausgeliefert sind, vor wem wir schutzlos liegen.
     Wer sich einem Guten ausgeliefert fühlt wird nicht bedrückt sein und kann stehen, den anderen wird alles zum Greuel (ihre Flucht in die Banalität ist nur zu verständlich- und dennoch traurig!). Eine andere scheinbare Lösung unserer Problematik (neben Materialismus und Banalität) ist die künstliche Überhöhung von Bruchteilen des Alltäglichen, was zur Ausblendung des-größeren-Restes führt. Dies ist die Methode totalitären Denkens: ein beliebiges Teil wird gegriffen, hochgehalten, zur Wahrheit erklärt (dadurch- nebenbei bemerkt- zur Un-wahrheit) und matrizenhaft vervielfältigt. Es wird vervielfältigt als Vorlage für die danach zu bildenden Menschen. Vereinfacht: anerkannt wird nur, was gefällt! Gefällt Krankheit nicht,- gut so wird diese negiert (d.h. in ihrer Existenz bestritten). Wer die Krankheit negiert, leugnet auch daß es Kranke gibt. In der aggressivsten und eigentlichsten Form heißt negieren nicht 'ignorieren' sondern 'bekämpfen'-'ausroden': da ist, was nicht sein darf (bemerken Sie die Paradoxie). Der Kranke wird negiert, d.h. es ist legitim ihn zu töten. Wir befinden uns hier auf dem Gebiet und im Argumentationsstrang der sogen. Bio-Ethik. Der Schritt von hier zum offiziellen Faschismus in Gestalt z.B. der Nazi-Endlösung ist eine unbedeutende Frage der Etikette. Man sollte nicht den Irrtum begehen zu meinen, daß da heute wieder etwas neu erscheint, was lange nicht da war- das hieße die Brisanz verkennen: es erscheint nur in dem Sinne daß es wieder auftaucht, denn es ist immer und überall dagewesen, wo auch Menschen waren; Menschen, die anders sind, sind die Ausnahme- wobei das Gesagte hiermit keine Entschuldigung für die Vielen wird (indem sie Wenige heiligsprechen), sondern zur absoluten Einforderung an jeden Einzelnen.


      Was zeichnet Menschen aus, die in totalitärem Denken ihre Zuflucht nehmen (und hiermit sich und die anderen in gefährlicher Weise belügen)?
Es sind dies Menschen, die in Deckung gegangen sind, die die Weite (und das bedeutet 'Geworfen in das Ausgeliefert-Sein') nicht ertragen. Dies hat (s.o.) mit der Art zu tun, wie sie die Frage beantworten, wem oder was wir mit unserer Geburt schutzlos ausgeliefert sind. Es ist eine Frage des Glaubens, wobei sich hier gleich die Dimension dieses Begriffes (Glauben) offenbart: Es geht nicht um das 'Für-wahr-halten' von Begriffen, Regeln und Wahrheiten (ein derartiger Glaubensbegriff wäre im o.g. Sinne totalitär), Nein , es geht um das Durchtragen der Weite als eigentliche menschliche Dimension, Weite, die in unserer existentiellen Machtlosigkeit gründet-.
     Faschismus ist also nur einer von vielen Begriffen für die Tatsache, daß man in Deckung gegangen ist, weil die existentiellen Gegebenheiten unerträglich und unannehmbar erscheinen.
     Wer Wahrheiten wie seine Sterblichkeit leugnet( die Teil dieses Lebens ist ), beginnt mit einer Lüge und endet ohne Weite (diese Menschen bedürfen keiner 'Hölle' im 'Jenseits'). Faschismus -und der politische Faschismus ist hier nur ein Sonderfall- bedeutet (als Synonym für totalitäres Denken) eine ungeheure Verdunkelung der menschlichen und weltlichen Dimension und dies aufgrund zentraler Schwäche (nicht umsonst ist die Macht* in diesem Denken pervers fetischisiert). Dies alles bedeutet, daß sich Menschen den selbstverantworteten Gang zur Quelle in sich versagen (da sie sich nicht glauben und meinen, ihrer eigenen Substanz nicht vertrauen zu können) und in der Folge eines Führers und einer leitenden Ideologie bedürfen. Diese (Führer und Ideologie) führen diese Menschen- wenig schlauer oder mutiger als sich jene selbst - zu irgendeinem drittrangigen Tümpel mit faulig-abgestandenem Wasser: faschistisch denkende Menschen sind bescheidene Menschen, denn alles Erstrangige verlangt wirkliche Größe.** Ich "beschimpfe" hier nicht einfach 'die anderen-irgendwen' - nein, das Faschistoide ist eine häufige Bedingung menschlichen Seins und Denkens, Begriffe wie 'Faschismus' und 'Neofaschismus' bezeichnen- genau besehen- hier nur politisch sichtbare Formen. In diesem Sinne atmen alle Ideologien im Sinne der Behauptung des Teiles als Wahrheit nur in unterschiedlichem Ausmaß den Zug des Faschismus. Es entstehen Wertesysteme, die nur an ihrer Wurzel künstlich und lächerlich erscheinen, die Kronen dieser Gewächse sind hochkohärent, -im Geäst sitzend läßt sich kein Ast mehr wegdiskutieren. Als Randbemerkung: man widerlegt Ideologien in ihrer letzten, einsam durchscheinenden Wurzel (diese, von der keiner mehr spricht, da sie Zeugnis des Scheiterns an der wirklichen Dimension des Menschseins ist!)
      Es ist daher ein Fehlschluß, z.B. Neonazis primär einfach für dumm zu halten. Sie zeichnen sich einzig durch die Schwäche aus, ihr Leben in den selbstverantwortlichen Vollzug der eigenen Existenz zu nehmen und stehen damit in alltäglicher Reihe mit vielen hochintelligenten und dummen Menschen, die gut integriert überall leben- getragen von allgemeinem Wohlbefinden. Ein Narr, wer hier mit Feuer spielt.


      Anmerkungen:
* wobei `Ordnung`nur eine kategorische Spielart von Machtausübung ist und somit in den Kreis des Denkens um `Sehnsucht nach Macht` gehört.
** Diese "wirkliche Größe" ist eine Größe, die jedem abverlangt ist und zu der jeder die ursprüngliche Befähigung schon in sich selbst trägt, indem er (bewußtes) Sein ist.


      Schlußbemerkung: Es handelt sich hierbei nicht um eine Lehrschrift, es werden keine Wahrheiten proklamiert, es handelt sich um ein Essay, d.h. um eine möglichst treffende Reihung von Gedanken um einen "springenden Punkt". Von daher erlaube ich mir, Gedanken akzentuiert zu formulieren, um einzig auf den Geschmack, den sie beim Leser hinterlassen, zu zielen. Das Wort "Faschismus" ist hier aus seinem primären politischen Wortfeld herausgelöst, denn es läßt sich an seinen Grundlagen- wie oben zu sehen- etliches darlegen. Ich habe diesen Begriff bis dorthin ausgelöst, wo er nur noch meint: Erfindung einer Regel, Herstellung einer Ordnung nach dem Maß dieser Regel, Zuerkennung der Menschenwürde, der Welt- und Ding- würde nur nach dem Grad der Entsprechung nach der Regel; Urgrund für all diese Künstlichkeit- die Schwäche des je Einzelnen sein Geworfensein zu ertragen. Auf dieser Lichtung gibt es keinen solitären politischen Faschismus mehr, hier erscheint nur noch die Gleichstrukturierung des Stalinismus, des Rassismus, wie verlängerbar die Reihe der Issmen. Auf dieser Lichtung gibt es Teilverschmelzungen von Begriffen wie "Faschismus", "Hierarchie", "Ordnung (schaffen)",...... -und in diesem Sinne offenbart sich der Faschismus als eine tiefwurzelnde Kategorie in menschlichem Denken und Sein, die jedoch- wie gesagt- nur eine der möglichen Spielarten des Scheiterns / der Resignation (was heißt re-signation: Rück- nahme des Zeichens= die Fahne einziehen= die Identität verlieren) vor der eigentlichen menschlichen Dimension ist.


Patrick Feldmann, März 1994